Making of und allerlei Gedanken

Drei Jahre, 3 Reisen, 26 Stunden. So lautet die Kurzversion.

Die Insel Skellig Michael liegt 12 Kilometer vor der irischen Küste. Im Sommer bewohnen sie 3 Ranger, die restliche Zeit des Jahres gilt sie offiziell als geschlossen. Zuständig für Skellig Michael ist die Regierungsstelle Office of Public Works, kurz OPW. Vom ersten Moment, als ich begann über die »Magischen Orte« als Buch und Vortragsthema nachzudenken, hatte ich einen Traum: einmal eine Nacht dort draußen zu verbringen, wo einst Mönche lebten und heute zigtausende Seevögel. Problem 1: die See in dieser Ecke Europas zeigt sich gern rau, das Wetter mäßig und Skellig Michael besitzt keinen Hafen, sondern lediglich eine Anlegestelle zwischen 2 Felswänden. Problem 2: bei der OPW hielt sich die Begeisterung für meinen Plan in engen Grenzen.

Als man mir in Jahr eins nach monatelangem Hin und Her eine Genehmigung gab, lautet die auf eine Nacht an einem fest definierten Wochenende. Ich reiste nach Irland, das Wetter spielte mit – bis zu besagtem Wochenende. Da stürmte es, passgenau, bis zum Erlöschen der Erlaubnis. Jahr zwei wollte man mir trotz unzähliger Kontakte gar keine Übernachtung gewähren, aber ich durfte außerhalb der üblichen Besuchszeiten hinausfahren. Wieder reiste ich nach Irland, fand nach Tagen einen willigen Fährmann, der mich morgens um drei auf die Insel zu bringen bereit war (gegen adäquate Aufwandsentschädigung versteht sich). Doch Tag um Tag zog Tief um Tief heran, erratische Winde heulten, Wolken verpackten die Welt. Nach einer Woche und ohne Aussicht auf Besserung gab ich entnervt auf. Jahr drei begann die OPW mit einem eingesprungenen »Vielleicht«. Alles würde sich kurzfristig entscheiden, die Chancen seien mäßig, aber wenn ich es trotzdem probieren wolle... 

Ich reiste nach Irland, nur um vor Ort zu erfahren, dass die nächsten 10 Tage keine Chance für meinen Plan bestünde. So besuchte ich einen alten Freund im Norden der Republik und wartete, telefonierte und wartete. Nach 3 Tagen dann auf einmal die Ansage: Warum kommst Du nicht morgen? Eine Nacht, hunderte von Kilometern auf irischen Straßen später, ging ich am späten Vormittag an Bord eines Bootes, das Richtung Skellig Michael ablegte. Das Wetter zeigte sich durchwachsen, der Wind schwieg. Draußen angekommen meldete ich mich bei den Rangern und bezog eine Holzhütte, die ich mit einem schweigsamen Defibrillator teilte. Als um 15 Uhr das letzte Boot mit Tagesbesuchern Richtung Festland aufbrach, wurde es, vom Konzert tausender Seevögel abgesehen, auf einmal still auf diesem 200 Meter hohen Felsen im Atlantik. Ein Papageitaucher schaute neugierig ins Fenster meiner Baracke, draußen tapsten und kreisten seine Artverwandten zu Tausenden. 600 steile Stufen führten mich hinauf zur Siedlung der Mönche. Als die Sonne unterging blieb ich noch lange zwischen ihren Zellen und als sie wieder aufging, befand ich mich nach 2 Stunden nervösen Schlafes schon längst wieder vor Ort – an einem Platz, den schon George Bernhard Shaw als »nicht von dieser Welt« sah.

Zum Glück zeigten sich nicht alle Magischen Orte so mühsam in Sachen Bürokratie und gleichzeitig (durch das winzige mir zugestandene Zeitfenster) so intensiv in der Anspannung vor Ort wie Skellig Michael. Doch zahlreiche Stätten ließen mich in ziemlich schneller Abfolge zwischen großer Freude und tiefer Verzweiflung schwanken.

Neben dem Steinkreis von Callanish übernachteten wir eine Woche im VW-Bus, um da zu sein, wenn das atlantische Wetter für wenige Minuten ein anderes Gesicht zeigte, im steilen Gelände um die Katharerburgen suchten wir im Schein der Stirnlampen einen Flecken für das Stativ um bereit zu sein für den unvergleichlichen Moment, wenn die Wintersonne sich über den Horizont schob und in Lappland waren wir so begeistert von den Lemmingen zwischen den Felsritzungen wie die Stechmücken von uns. Wir lernten Schlaf als Luxusgut schätzen und Spinnmilben als wenig liebenswerte Zeitgenossen. Auf dem Berg Athos versuchten manche Mönche, mich zur Orthodoxie zu bekehren, doch die meisten der »Magischen Orte« bestärkten mich in meinem Glauben an eine Welt, die bewohnt ist, belebt, vielleicht auch beseelt von einer unglaublichen Zahl an gleichwertigen Kreaturen.

Für die Menschen die wir trafen und teilweise porträtierten habe ich tiefsten Respekt. Oft haben sie ihr ganzes Leben einem Thema verschrieben, das viele wechselweise von außen betrachtet (durch Meldungen in den Medien also) Liebhaberei oder Spinnerei nennen würden. Ed Prynn zum Beispiel, der spätberufene Erzdruide von Cornwall, hat im Laufe der letzten Jahre im Garten seines Bungalows eine umfangreiche Megalithanlage errichten lassen.

Trifft man ihn und trinkt einen Tee zusammen, zeigt er sich als bescheidener, reflektierter Mensch, der an etwas glaubt und bereit ist, dafür weitere Wege zu gehen, als die meisten von uns. Ob er damit die Welt bereichert, darf jeder selbst entscheiden, geschadet aber hat er niemandem.

Die Archäologin Margaret Curtis widmet ihr Leben den Steinkreisen von Callanish und deren Bezug zum Mond, in Irland kennt der Geschichtenerzähler Eddie Lenihan die Überlieferungen zur heiligen Landschaft wie kein Zweiter, der Privatgelehrte Rob Barrett lokalisiert im Norden von Wales mit dem »Dragon Ring« das Zentrum der Megalithkultur und die Forscher Dr. Gerhard Milstreu und Alberto Marretta arbeiten sich jedes Jahr weiter ein in die steingeritzte Zeichenwelt unserer Ahnen.

Sie alle (und viele weitere Ungenannte) haben uns die Schönheit und den Facettenreichtum der Erde vor Augen geführt, brachten uns zum Nachdenken, Staunen, Lachen und nicht selten haben wir sie nur sehr schweren Herzen wieder verlassen. Menschen wie Nikolai aus Moskau, der am Berg Athos 2 Samoware und einen gewaltigen Rucksack voll Verpflegung zur Hütte Panagia in 1500 Metern Höhe schleppte, um für eine Woche die erschöpften Pilger mit Tee und einem Imbiss zu empfangen, werde ich nie vergessen.

»Die Welt, durch die ich gehe, ist eine andere als die, von der wir reden.«

Reinhold Messner

Wenn ich derzeit online oder gegenständlich durch eine Zeitung blättere (einen Fernseher besitzen wir nicht) holen mich die Gedanken an die magischen Orte immer wieder in diese »andere« Welt zurück, die nicht geprägt ist von Hoffnungslosigkeit und Dramen (nicht, dass es beides nicht reichlich gäbe), sondern von Facettenreichtum, Unmittelbarkeit und dem Wunsch, an eine bessere Welt zu glauben.

Die »Magischen Orte« vermitteln eine intensive, unmittelbare Kontaktaufnahme mit unserer eigenen Geschichte, die vor Jahrhunderttausenden in der afrikanischen Savanne begann und uns vom Nomaden über den Siedler in die zunehmend von der Natur (und damit den Magischen Orten) entfremdete Jetztzeit führte.

So verwundert es nicht, dass immer mehr Menschen in ihnen eine Orientierung suchen, weil sie tief in die Vergangenheit weisen und uns mit der natürlichen Welt verbinden.

Was also ist das, ein »Magischer Ort«? Auf die Frage findet sich nicht die eine Antwort oder, um es mit Dennis Gastmann zu sagen: »Entweder gibt es 7 Milliarden Wahrheiten oder keine einzige.«

Vielleicht hilft Franz Kafka, der geschrieben hat: »Das Glück begreifen, dass der Boden, auf dem Du stehst, nicht größer sein kann, als die zwei Füße ihn bedecken.« oder, mit den Worten des Philosophen und Humanisten Martin Buber »Es gibt etwas, das man an einem einzigen Ort in der Welt finden kann. Es ist ein großer Schatz, man kann ihn die Erfüllung des Daseins nennen. Und der Ort, an dem dieser Schatz zu finden ist, ist der Ort, wo man steht.«