Unterwegs – ein Leben als Berufsreisender

Mit 14 Jahren, wenn die Hormone Tango tanzen und die Welt in rasantem Wechsel zu groß oder zu klein erscheint, kam ich zum ersten Mal nach Schweden. Bodo, mein Freund von der anderen Straßenseite, hatte mich eingeladen und meine Eltern, deren bevorzugtes Reiseziel die Mittelmeerstrände waren, ließen mich nach kurzem Zögern aufbrechen ins ihnen Unbekannte.

Nach 10 Tagen Kiefern, Granitbuckeln und Meer hatte sich in meinem unsortierten Pubertierendenhirn eine neue Nische manifestiert, die von der Besenkammer schnell zum Wohnzimmer wuchs. Das war gut so, denn ich brauchte dringend eine übergeordnete Orientierung, einen Anker im Leben. Durch berufliche Wechsel meines Vaters versuchte ich mein Glück bereits auf der 5. Schule und es war mir noch nicht gelungen, über die Rolle des Außenseiters hinauszukommen. In der Weite des Nordens fand ich Nähe zur Natur und konnte Abstand gewinnen zu meinem oft anstrengenden Dasein in wechselnden Gruppierungen von Jugendlichen.

»I have some real estate here in my bag«

Simon & Garfunkel

Norwegen erschien mir auf Fotos als eine Steigerung zu Schweden und so arbeitete ich in den Ferien im Wald und verteilte unter der Woche Flugblätter, um mir ein Moped, eine Kameraausrüstung und die Reisekosten zusammenzusparen.

Mit 16 zog ich mit meinem Moped in den Sommerferien nach Norwegen, mit 17 nach Schottland, dann mit dem Rucksack in die Wildnis Lapplands. Das Unterwegssein wurde, mit allen Höhen und Tiefen, zu meinem natürlichen Biotop.

Für die Schule blieb da wenig Zeit. Entsprechend großartig fiel das Abitur aus – aber das interessierte in Alaska niemanden. Dorthin nämlich führte mich der Weg nach überstandener Reifeprüfung. 5 Monate erkundete ich die Wildnis im 49. Bundesstaat der USA, dann trampte ich nach Los Angeles. In Alaska hatte ich Bären fotografiert, Elche, Karibus, Biber und Landschaften, die mein Verständnis von »weit« noch einmal deutlich nach oben korrigierten. Dabei war ich zum Wanderer mit der Kamera geworden. Die Neugier auf die Welt, gepaart mit der Fotografie, entwickelten sich zur immer stärkeren Triebfeder. Ein Round-the-world Ticket tauschte ich gegen eine erste professionelle Kameraausrüstung (was wollte ich in Tahiti?), die damals in den USA deutlich günstiger als in Europa war. Ein paar Tage später betrat ich deutschen Boden und fiel in ein tiefes Loch. Meine Heimat erschien mir noch überfüllter als zuvor und reflexartig suchte ich mir Jobs, um bald wieder mit einem Säckchen voller Filme in irgendeinen Winkel des Nordes zu verschwinden. Da ich das Klettern angefangen hatte, wurden zudem die Felsen Südeuropas zu einem bevorzugten Aufenthaltsort – Nächte unter dem Sternenhimmel inklusive. Zweimal versuchte ich mich in diesem Lebensabschnitt als Angestellter, verkaufte Rucksäcke, leitete Seminare zu Überblendtechnik für Diaprojektoren, reiste dazwischen immer wieder durch Europa, aber auch nach Indonesien und Tibet, wo der Weg von Lhasa zum Kailash (inklusive seiner Umrundung) meinen Begriff von Weite noch einmal veränderte und den Horizont um andere Lebensformen und Religionen erweiterte.

Schon während der Schulzeit hatten mein Freund Eike und ich uns überreden lassen, einen Vortrag zu unseren Lapplandtouren zu zeigen und als ich aus Alaska zurückkehrte, folgte dank zahlreicher Nachfragen eine erste kleine Vortragstour (»Tuchfühlungen – Ein Wanderer in Alaska«) durch den deutschen Südwesten. Das bescherte mir einen fulminant hohen Puls (Bärenbegegnungen in Alaska waren dagegen ein Klacks) und immer wieder ein Zubrot für die weiteren Reisen. So ging es Jahr um Jahr. Als schließlich am Horizont mein 30. Geburtstag dämmerte, kam der Tag der Entscheidung: ab jetzt wollte ich versuchen, mein Geld mit Reisen und Fotografieren zu verdienen. Verlags- und Buchmessenbesuche bescherten mir 2 Erkenntnisse: niemand hatte auf mich gewartet, aber meine Fotografie fand prinzipiell Anklang. Wenige Monate später zog ich mit meinem Vortrag »Irland – Geschichten von einer Insel im Westen« zwischen Flensburg und Reutlingen durch die selbst gebuchten Säle der Republik, verzierte die Innenstädte mit Plakaten und die Ausfallstraßen mit Werbetafeln und erzählte dazwischen immer wieder einmal für zwei Stunden von den Iren und ihrer grünen Insel.

Mehr tot als lebendig überstand ich den ersten Winter, brach auf nach Galizien und weiter nach Irland und hatte meinen Beruf gefunden. Zu meinem 30. Geburtstag geschah noch etwas anderes: ich traf Eli. Sie arbeitete im Büro, hatte aber gerade den Plan gefasst, freie Kunst zu studieren. Fortan reisten wir meist gemeinsam und als ihr Studium abgeschlossen war, gleichzeitig die ersten Bücher und Kalender erschienen und die Tourneen immer aufwendiger wurden, hatte die persönliche Arche Noah auf einmal zwei Bewohner.

So ist es bis heute geblieben. Eli kümmerte (und kümmert) sich um die Vortragstouren, ich mich um Bildbände, Kalender und Agenturen. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert führen wir nun ein ziemlich nomadisches Leben, das sich vor allem um die Pole Reisen (4–5 Monate/Jahr) und Vortragstour (3–4 Monate/Jahr) dreht. Dazwischen entstehen Bücher und Kalender. Kinder und Haustiere haben wir keine, lediglich einige pflegeleichte Topfpflanzen und eine liebenswürdige Nachbarin (DANKE Sabine).

Die digitale »Revolution« hat unser Berufsbild in den letzten Jahren sehr verändert. Durch das Internet und die schiere Masse an verfügbaren Bildern (wer fotografiert heute nicht?) ist eine Übersättigung eingetreten, die viele meiner Kollegen bereits um ihr »Brot« gebracht hat. Längst nicht alle, die heute Fotos machen, betrachten die Natur lediglich als gefälligen Selfie-Hintergrund und so sind im www auch viele hochwertige Amateurfotos verfügbar, bei denen der Fotograf nicht von den Früchten seines neben-beruflichen Hobbies leben muss.

»Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute,
welche die Welt nicht angeschaut haben.«

Alexander von Humboldt

Berufsreisender also, wohin geht dein Weg?

Bis heute darf ich bei meinen Vorträgen (die heute Multivisionen heißen) erzählen, dass unser häufig sattes und von einer negativen Grundstimmung geprägtes Weltbild nicht das einzig mögliche ist (und sich auch die Beleuchtung eines (Welt-)Bildes mit dem Winkel ändert), darf berichten von bereichernden Begegnungen mit Menschen, Landschaften und vielerlei anderen Lebewesen, von kleinen und größeren Abenteuern und dem großartigen Gefühl, dass letztendlich alles zusammengehört.

Die Oberflächlichkeit unserer Zeit macht mir Sorge. Doch damit weiß ich mich nicht alleine und entgegen einer gerne zitierten Fremdmeinung ist es natürlich der Einzelne, der etwas ausrichtet. Wer sonst? Es gibt genug solcher Einzelner, die das Tag für Tag beweisen. Die große Reise also geht weiter. Mit Höhen und Tiefen. Letztlich war dieses Leben immer für Überraschungen gut. Warum sollte es nicht so bleiben?